Entzündungen der Gelenke
Die allergischen Entzündungen (Überempfindlichkeitsreaktionen nicht unmittelbar infizierten Gewebes) sind besonders wichtig. Häufigste derartige Entzündung ist die Arthritis rheumatica, der „Gelenkrheumatismus". Im Kindesalter kann die rheumatische Entzündung als schwere, fieberhafte Erkrankung — rheumatisches Fieber — verlaufen und dabei zahlreiche, meist große, Gelenke befallen (polyarthritis rheumatica acuta).
Die Entzündung spielt sich am Bindegewebe der Gelenkkapsel und der Gelenkbänder ab und führt zur Vermehrung dieses Gewebes (Proliferation). Nach Abklingen der Entzündungserscheinungen schwindet das entzündliche Ödem, das Bindegewebe schrumpft und schwerste Kontrakturen sind die Folge. Proliferationsbindegewebe kann sogar in die Gelenke einwachsen (pannus) und zur Versteifung (fibröse Ankylose) führen.
Die orthopädische Behandlung setzt nach Abklingen der akuten Erscheinungen ein, doch ist sorgfältige Lagerung zur Verhütung von Fehlstellungen schon im akuten Zustand notwendig. Sie ist aber schwierig. Bewegungsübungen müssen lange Zeit durchgeführt werden, da schon geringe Bewegungszunahmen der kontrakten Gelenke für die schwerbehinderten Patienten einen Gewinn darstellen. Korrigierende Osteotomien bei schweren Fehlstellungen sind häufig nicht zu umgehen. — Im Erwachsenenalter tritt, meist bei Frauen, die chronische Polyarthritis auf.
In einzelnen Krankheitsschüben kommt es auch hier zur Kontraktur, meist kleiner Gelenke (Füße, Hände). Schwierig ist es, den Behandlungsreiz bei Bewegungsübungen so zu dosieren, daß kein erneuter Krankheitsschub ausgelöst wird. — Zu den rheumatisch-allergischen Entzündungen wird auch die versteifende Wirbelgelenkentzündung, morbus bechterew (spondylarthritis ancylopoetica) gerechnet. Diese Krankheit befällt besonders junge Männer.
Unter jahrelangen Schmerzen und Entzündungserscheinungen versteifen alle Wirbelsäulengelenke, die Kreuz-Darmbein-Gelenke und die Rippen-Wirbel-Gelenke. Der Prozeß verläuft meist von unten nach oben. Zwischen den Wirbeln entwickeln sich Knochenbrücken (Syndesmophyteri). Die Wirbelsäule gerät im Verlaufe der Krankheit in eine Beugekontraktur (Kyphose). Schließlich fällt es dem Patienten schwer, geradeaus zu blicken.
Eine Heilung ist nicht möglich. Die Behandlung konzentriert sich darauf, durch gezielte Übungen die Wirbelsäulenbeweglichkeit zum Teil zu erhalten, besonders aber die Kyphose zu verhindern. Schmerzlindernde Maßnahmen (Medikamente, Röntgenbestrahlungen) ermöglichen erst die Übungsbehandlung.
Traumatische Gelenkschädigungen
Durch Traumen können die Gelenkbänder und der Gelenkknorpel verletzt werden. Bandschädigungen kommen häufig am Kniegelenk und Schultergelenk vor. Der Innenbandschaden am Kniegelenk (typische Sportverletzung) führt zur Instabilität und kann die Arthrosis deformans begünstigen. Ausgleich durch intensive Schulung der Muskulatur (Ersatz des passiven durch einen aktiven Halt) ist möglich. Auch die Bandscheiben des Kniegelenks (innerer und äußerer Meniskus) werden häufig geschädigt. Der Schaden verursacht Schmerzen und Bewegungshemmung.
Der Meniskus wird dann operativ entfernt. Am Schultergelenk tritt eine Schädigung nicht selten durch Luxation ein. Bei mangelhafter Ausheilung verbleibt eine Schwäche im Kapsel-Band-Apparat, aus der sich weitere Luxationen bei immer geringerem Anlaß ergeben können: „habituelle Schultergelenksluxation". Die Behandlung ist operativ, wobei durch Fesselung des Oberarmkopfes oder Sperrung des Luxationsweges (Knochenspan) erneute Ausrenkung verhindert wird.
Die typische Knorpelschädigung des Gelenks ist die Osteochondritis dissecans. Durch ein- oder mehrmalige Traumen (Berufskrankheit der Preßluftarbeiter) wird ein Knorpelbezirk aus dem Ernährangszusammenhang gelöst und nekrotisch. Er kann sich abspalten (Dissekat) und als freier Gelenkkörper („Gelenkmaus") zu plötzlichen Bewegungssperren und Reizergüssen führen. Der freie Körper wird operativ entfernt.
Erkrankungen des Bindegewebes
Die Leistung des Bindegewebes ist der Widerstand gegen Zug in Richtung der Fasern. Störungen treten besonders im straffen Bindegewebe auf, dessen Fasern einer bestimmten Zugrichtung entsprechend angeordnet sind (Sehnen, Bänder). Die Leistungsminderung beruht auf einer Strukturänderung (Degeneration zu ungeriditetem Bindegewebe = Narbe oder Ossifikalion). Die Strukturänderung kann durch Funktionsstörungen begünstigt werden (Veränderung der Zugrichtimg, Überbeanspruchung).
Die Störungen im Ansatzbereich von Bändern und Sehnen (fälschlich als „Periostosen" bezeichnet) haben besondere Bedeutung: Tendirwsen. Die Einstrahlungspunkte der Sehnen und Bänder in den Knochen haben ein Knorpelpolster, das die Abknickung der Fasern verhindert. Dieser Knorpel unterliegt ähnlichen Veränderungen wie der Gelenkknorpel bei der Arthrosis deformans (Ufambauvorgänge).
Bei plötzlicher Mehrbeanspruchung, Hypertonus der Muskulatur, Traumatisierung, kann dieser Umbau gestört und beschleunigt werden. Es kommt zu schmerzhaften Reaktionen. Die „schmerzhafte Schultersteife" (periarthritis humero-scapularis) ist häufig eine Ansatzstörung des m. supraspinatus (tuberculum maius humeri). Die schmerzbedingte Bewegungsschonung führt zu rascher Adduktionskontraktur des Schultergelenks. Ruhigstellung, reaktionsdämpfende Maßnahmen und vorsichtige Übungsbehandlung nach Abklingen der Reizerscheinungen sind erforderlich, um ein funktionstüchtiges Schultergelenk zu erhalten.
Ähnliche Reizungen kommen am inneren und äußeren Oberarmknorren (epicondylitis humeri) und am Grifielfortsatz von Speiche und Elle (Styloiditis) vor. Sie werden mit örtlichen Injektionen (Jenacain, Hydrocortison), Ruhigstellung, zuweilen auch operativ behandelt. In gleicher Weise behandelt man Reizerscheinungen der Sehnengleitlager und der Sehnenscheiden (Peritendinitis, Tendovaginitis). Diese Reizerscheinungen treten bei Femarbeit häufiger auf als bei kraftvoller körperlicher Anstrengung. Sie beruhen wohl auf der Einförmigkeit technisch bedingter Feinbewegungen (Schreibmaschine, Stenographie, Feinmechanik, Montageband).